Die aktuelle Nah-Ost Debatte wird emotional diskutiert. Die Opfer unter den Palästinensern sollen nicht hingenommen werden. Israel wird in die Pflicht genommen; Israel wird kritisiert; Israel wird angeklagt. Eine Emotionalität ist, dass man sich Israelkritik nicht unter einem unbegründeten Vorwurf des Antisemitismus verbieten lassen wolle.
Wird denn Israelkritik per se verboten? Spielt Antisemitismus wirklich keine Rolle?
Man könnte annehmen, dass vor dem Hintergrund der zivilen Opfer, schlicht nur der „Underdog“ unterstützt werden soll. Darf man dann aber Hamas zu einem Produkt israelischen Handelns verklären? Darf man Israel dann Völkermord unterstellen?
Es ist die Einseitigkeit von einer bestimmten Form der Israelkritik die aufhorchen lässt. Hier wird nicht versucht einen Konflikt zu beurteilen. Es wird eine Anklage formuliert die z.T., aber nicht als Ausnahme, auf die Existenz Israels auf dem Land der Palästinenser zurückgeht. Gemäßigter wird auf den Sechs-Tage-Krieg verwiesen, eindeutiger wird auch das Existenzrecht an sich zur Disposition gestellt. Somit wird immer wieder Antisemitismus als israelischer Gründungs- und Handlungshintergrund unterschlagen. Ihre militärische Überlegenheit wird zu einem Unrecht erklärt und mit den zivilen Opfern argumentiert oder präziser emotionalisiert und damit wird sie eben nicht als Notwendigkeit anerkannt, die aus der Bedrohung der antisemitischen Akteure der Region gewachsen ist.
Was ist denn aber jetzt antisemitisch daran Israel zu kritisieren? Nun eben diese Ausblendung von rahmengebenden Antisemitismus nährt den Verdacht, dass eine solche Anklage Israels nicht den Zweck einer Beurteilung verfolgt, sondern akteurszentriert anklagen will. Dieser Akteur ist dann der Judenstaat. Israel mag dann weniger antisemitisch klingen, aber warum gibt es so viele die explizit diesen Konflikt kommentieren wollen und dabei nicht in der Lage sind nicht-israelisches Unrecht miteinzubeziehen?
An dieser Stelle möchte ich etwas weiter ausholen. So ist der Sprachgebrauch auf Demos von arabisch-stämmigen Menschen durchaus unterschiedlich. Hier wird deutlich gemacht, dass es nicht nur um Israel geht. Es geht um die Juden. Das ist ein Begriff, welcher in Deutschland niemand gerne benutzt. Die dahinter stehende Kritik, des völkermordenden Unrechtsstaates wird aber im Gegensatz zur Begrifflichkeit weitestgehend geteilt. Wenn jetzt aber von Juden gesprochen wird, dann wird sich in der deutschen Öffentlichkeit distanziert. Manche finden übereinstimmend mit den Inhalten, dass es sich um verbale Entgleisungen handelt, die der Kritik nicht nutzen. Andere sagen, dass man dies natürlich nicht sagen könne, denn wenn man Juden meint, dann wird es antisemitisch.
Aber ist es wirklich nicht antisemitisch, wenn nur der Begriff Jude fehlt?
Ich glaube hier muss man sich dann doch auf die deutsche Geschichte beziehen, was große Teile der Gesellschaft für alles andere als heute noch angebracht halten, schließlich habe man die Generationen der Nazis nun langsam mal überlebt. Was ist aber das Erbe der Nationalsozialisten? Ich denke der Holocaust kann aufgrund seiner unfassbaren Unmenschlichkeit nicht ohne Nachhaltigkeit auf das deutsche (Geschichts-)Bewusstsein gewirkt haben. Da würden mir wahrscheinlich erstmal die wenigsten widersprechen.
Der Holocaust ließ den Antisemitismus in Deutschland (und auch darüber hinaus) nicht mehr ignorieren. Antisemitismus musste als Teil der deutschen Geschichte anerkannt werden, dies machte allein schon die Niederlage des 2. Weltkrieges unumgänglich, die eine Leugnung unmöglich machte. Hier sehe ich einen essentiellen Unterschied zu allen anderen Ländern, wo kein antisemitisches „Ereignis“ belastete, auch wenn der Holocaust insbesondere in Europa die Leugnung von Antisemitismus schwer machte, aber dort konnte man sich zur Not darauf zurückziehen, dass es ein deutsches Problem ist.
Die deutsche Gesellschaft hingegen stand damit unter einer nachhaltigen Anklage. Sicherlich wird es auch neben einem (auferlegten) Schuldbewusstsein, auch eine Scham gewesen sein, die verhinderte das Thema Antisemitismus überhaupt anzusprechen. Schweigen war die Losung um die eigene Geschichte hinter sich zu lassen. Hier behaupte ich, dass mit dieser Scham, mit dieser Verdrängung ein Wort aus dem deutschen Sprachschatz verschwand: Jude. Dieses Wort in einem wertenden Kontext in den Mund zu nehmen, fühlte sich an, wie den Holocaust, diesen Schandfleck der eigenen Vergangenheit zu benennen. Das Wort Jude wurde zum Tabu. Nicht von Außen, nicht der Antisemitismus, sondern um sich selbst erst gar nicht in Verdacht zu bringen in der Tradition der Holocausttäter zu stehen. Dies galt dann wohl für Beteiligte genauso, wie für die, die wegschauten.
Was hat das nun zur Folge? Es hat eben nicht zur Folge, dass antisemitische Klischees oder Denkmuster verschwanden oder hinterfragt wurden, es hatte lediglich zur Folge, dass diese aus dem öffentlichen Diskurs verschwanden. Es hatte zur Folge, dass man sich genau überlegte was man sagt um den Verdacht nicht zu begründen. Allererste Priorität war es somit Jude nicht mehr in den Mund zu nehmen, denn hier war klar, dass jede Wertung mit diesem Wort einen Vorwurf nach sich ziehen könnte.
Wann und vielmehr von wem, tauchte dann die erste Israelkritik auf, die erneut Juden zu Täter machte. Von der antiimperialistischen Linken. Das konnte nur logisch sein, denn man sich eben nicht als Teil der deutschen Historie, als Erbe des Nationalsozialismus sah, sondern im Gegenteil als diejenigen, die eben eine gescheiterte Entnazifizierung thematisierten, diejenigen, die Deutschland ihre Historie weiter vorwarfen, weil sie eben nicht vergangen war.
Das Tabu bröckelte dann in deren Reihen. Juden wollte man zwar nach wie vor nicht kritisieren, aber Israels Sechs-Tage-Krieg, der US-amerikanische Krieg in Vietnam, da wollte man als Linke nicht schweigen. Aber warum Israel? Israel handelte aus der konkreten Bedrohung durch Ägypten. Die präventive Dimension seitens Israels im Sechs-Tage Krieg ließ die Einordnung deren Handelns allerdings Aktion statt Reaktion möglich werden. Damit konnte Israel vom Antisemitismus gelöst betrachtet werden. Die Israelkritik war geboren, die eines wieder möglich machte, die Benennung von Juden als Täter und das Wort Jude konnte weiter unausgesprochen bleiben.
Das soll jetzt in keinster Weise bedeuten, dass im Nachkriegs-Deutschland nur die Linken antisemitisch waren. Nur waren sie die ersten, die sich von der deutschen Vergangenheit „emanzipierten“. Daher waren sie auch folgerichtig die ersten, die sich nicht mehr für die deutsche Vergangenheit schämten. Sie griffen sie an, sie benutzten sie in ihrer Kritik gegenüber der deutschen Gesellschaft. Zugleich machte dies aber Platz für die alten Denkmuster, diesen perfiden Antisemitismus, der so oft als vermeintliche Wahrheit in so unterschiedlichen Facetten daher kam.
Die Renaissance oder vielmehr Etablierung dieser Israelkritik etablierte sich in weiteren Teilen der Gesellschaft sukzessiv nach der deutschen Widervereinigung. Inzwischen verstärkte sich das Motto, dass die deutsche Vergangenheit, der Vergangenheit angehöre. Die nun dritte Generation nach dem Nationalsozialismus fing an sich im öffentlichen Diskurs wieder zu finden. Weder müsse man sich für die Taten der Großväter noch rechtfertigen, noch sei Antisemitismus ein aktuelles Problem der deutschen Gesellschaft. Denn das Wort Jude nahm nach wie vor höchstens ganz vorsichtig in den Mund. Die Kritik an Israel hingegen wurde immer breiter, immer lauter. 1993 scheiterte der Friedensprozess in Olso sehr einfach gesagt am Mord Rabins durch einen jüdischen Fundamentalisten. Die beiden Intifadas machten eine klare Positionierung noch schwer.
In den 2000er aber dann wurden die Maßnahmen Israels gegen den Terror zunehmend mit Worten wie Apartheid kategorisiert. Hier stützen sich auch nicht ausgesprochene Linke darauf wahrscheinlich primär unterbewusst, dass diese Meinung nicht aus der rechten Ecke kam, sondern ja von Linken, von Antifaschisten, Antisemitismus in dieser Meinung zu reflektieren, war somit unbegründet oder ohne Anlass. Und noch ein Indiz war ja in diesem Sinne gegeben, es wurde Israel kritisiert; das Wort Jude tauchte weiterhin nicht auf. Der in dieser Zeit beginnende innerlinke Diskurs zum Antisemitismus im Anti-Imperialismus blieb der bürgerlichen Mitte verborgen.
Und ich betone an dieser Stelle noch einmal, nicht jede Israelkritik, sondern die Form der Kritik, die Antisemitismus als Rahmenbedingung unterschlägt und einseitig zu einer Anklage Israels führt (es gab sicherlich auch in der anti-imperialistischen Linken und auch aktuell Israelkritiker, die differenziert argumentieren ohne auf antisemitische Denkmuster zurück zu greifen) ist gemeint. Diese Israelkritik ist der inhaltliche Unterbau, der auch dem Antisemitismus der Hamas, des Irans oder den aktuellen Demonstrationen zu Grunde liegt. Die palästinensischen Opfer des Täters Israels.
Diese Demonstrationen in Deutschland werden jetzt kritisiert. Über diese Demonstrationen wird sich jetzt empört, nicht weil die Kritik nicht geteilt wird, sondern weil die Wortwahl die falsche sei. Die arabisch-stämmigen Demonstrierenden brechen ein deutsches Tabu, sie benutzen das Wort Jude. Damit wird es schwer, das wissen wir Deutschen, ganz schwer sich vom Antisemitismus zu distanzieren. Dass allerdings in der Öffentlichkeit aktuell auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft oder zu Beginn des Konfliktes ebenso in den Leitmedien, die Rolle Israels oft genug die eines Aggressors und damit eines Täters war und ist, nein das sei kein Antisemitismus, denn es gehe einzig um eine Kritik am staatlichen Handeln Israels.
Genau, es geht nicht um die Meinung zu einem Konflikt. Es geht darum Israel zu kritisieren, was allzu oft in einer Anklage mündet, die ausspart warum Israel reagieren muss, weil sie von Antisemiten zur Vernichtung ausgegeben sind. Es muss dann kein Antisemitismus sein, es muss noch weniger eine bewusste antisemitische Agitation, aber es ist auch keine zufällige, willkürliche Undifferenziertheit.
Diese Israelkritik ist die Möglichkeit, die Chance für die verschwiegenen antisemitischen Denkmuster wieder zu Tage zu treten. Deswegen wehrt man sich so an den Holocaust erinnert zu werden, den Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt zu sein. Es würde weiter das begrenzen was jetzt lange genug unausgesprochen war. Deutschland hat die Vergangenheit abgelegt, hat die Scham des Holocaust überwunden, hat sich jetzt auch aus der Mitte von der Vergangenheit „emanzipiert“. Da gibt es keinen Grund mehr unsere Meinung nach Antisemitismus zu hinterfragen, hört doch in die Welt hinaus, sie spricht die gleiche Sprache, wenn es um Israel geht. Nur hat diese übrige Welt den Antisemitismus auch nicht aufgearbeitet, sie hat ihn zu großen Teilen nicht mal tabuisiert.
Wenn die deutsche Gesellschaft jetzt nicht anfängt sich wirklich bzgl. Antisemitismus zu reflektieren, sich harte Fragen zu stellen und ehrliche Antworten zu geben und eben nicht auf das Tabu zu referieren das Wort Jude nicht zu benutzen, dann wird eine Zeit kommen, wo auch dieses Tabu fallen wird; eine Zeit in der Antisemitismus wieder Tageslicht Deutschlands erreicht.
(Ich sehe mich hier nicht der deutschen Gesellschaft außen vor. Auch meine Israelkritik habe ich in der Vergangenheit weniger reflektiert und tendenziell als eine Anklage der Täterschaft gesehen. Und mir fällt es eben irgendwie merkwürdig schwer das Wort Juden zu benutzen, gesprochen noch mehr als geschrieben, aber warum? Ich sehe und sah mich nie als Antisemiten, warum soll ich dann nicht über Juden sprechen? Natürlich weil man aufhören sollte Menschen zu kategorisieren, aber das ist es nicht. Es ist die Angst was Falsches sagen zu können oder auch nur falsch verstanden zu werden, wo man doch kein Antisemit ist. Nur diese Angst lähmt überhaupt zu erkennen wo Antisemitismus dennoch sozialisiert wurde, denn zu meinen, dieser wäre überwunden und kein Teil von uns, ist der erste und schwerste Fehler.)